Anselm war enttäuscht, nein, mehr als das: Es waren Tage wie dieser, die ihn an allem zweifeln ließen: am Sinn dieser langen und entbehrungsreichen Jahre am Geobotanischen Institut, an der trügerischen Freundschaft zu seinem Mentor Ulf und – ja, dies nicht zuletzt – an den Frauen. War es nicht einzig und allein Anselms steten und beharrlichen Anstrengungen geschuldet, dass die Züchtung der Bellis Perennis Anselmis, des Riesenhaften Gänseblümchens, schlussendlich doch noch gelang? Dass sich die Fachpresse überschlug in Lobeshymnen und gar vom eigenen Lehrstuhl die Rede war? Für ihn, Anselm, den bedeutendsten Naturforscher seit Aimé Jaques Bonpland?
Es half nichts. Nicht er, sondern Ulf hatte nun mal den Schlag bei den Frauen. Anselm ließ sich nichts anmerken, nein, diese Genugtuung konnte er Ulf nicht gönnen. Schweigend zog er sich zurück, setzte sich in den Schatten und vertiefte sich in die Lektüre des großen Was blüht denn da?, dieser zugegebenermaßen reichlich populärwissenschaftlichen aber durchaus charmanten und opulent illustrierten Anthologie der heimischen Flora. Und, ach, daran hat er gut getan, so musste er wenigstens nicht mit ansehen, wie Ulf – der Lump! – sich nicht nur im Glanze der Bellis Perennis Anselmis sonnte, sondern auch in dem von Mareike und Esther (links im Bild), den beiden Austauschstudentinnen aus Tübingen.
Allein Esther schien zu ahnen, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen, genauer hinzusehen, Ulf auch nur einen kurzen Blick zuzuwenden: Der Anblick herunterrutschender Socken auf weißen Männerbeinen mitten im Monat Mai war deutlich mehr, als sie ertragen konnte.
Foto: Philip Kromer